Dienstag, 5. April 2011

04.04.11 – 05.04.11: Die Chirurgie

Nach der Pädiatrie, wollte ich mir die Chirurgie ansehen. Ich habe mir nicht sonderlich viel erwartet, nachdem ich mich letzte Woche mit Andrea, einer Chirurgin aus der Schweiz die hier momentan ehrenamtlich tätig ist, unterhalten habe. Dass diese Erwartungen aber auch noch unterboten werden können, war mir nicht klar.
Als wir um 8 in der OPC (Outpatient Clinic) bzw. im „Emergengy Departement“ angekommen sind, war kein Arzt weit und breit zu sehen. Das hat sich auch für 1,5 Stunden auch nicht geändert. Wartebereiche voller wartender Patienten, die evtl. auch kritisch sein können scheint keinen zu interessieren.
Als schlussendlich doch ein paar Ärzte (bzw. ein paar Interns und ein 1st year resident) eintrudeln, wird in einem ziemlich gemächlichen Tempo mit der Arbeit begonnen. Ein Mann der schon seit 8 Uhr mit seinem dicken, durchgebluteten Verband wartet, wird eine weitere Stunde ignoriert.
Auch habe ich den Eindruck, dass auf Anamnese hier überhaupt keinen Wert gelegt wird. Die Ärzte übersetzen zwar, wenn man darum bittet, aber die Informationen sind spärlich. Bei einem Patient mit einer Kopfplatzwunde zum Beispiel, bekomme ich auf die Frage was passiert ist, die Antwort: „Er hat eine Kopfplatzwunde“. Als ich nach dem Mechanismus frage, werde ich groß angeschaut und dann wird der Patient hastig gefragt. Nun erfahre ich, dass er bei einem Streit irgendwie auf den Kopf gefallen ist. Ich möchte wissen ob der Patient bewusstlos war oder nach dem Sturz etwas ungewöhnlich war. Wieder ein fragender Blick und hastiges Gefrage. Ich sollte vielleicht dazu sagen, dass der Arzt sich bevor ich ihn ausgefragt habe mindestens 15 Minuten mit dem Patienten gesprochen hat. Worüber haben die sich bitte unterhalten? Das Wetter?? Dieses Szenario hatte ich sehr häufig in den 2 Tagen mit den Chirurgen.
Weiter zu den anderen Patienten, dieses Trauerspiel von „Anamnese“ und „körperlicher Untersuchung“ konnte ich nämlich relativ schnell nicht mehr mitansehen. Viele Patienten kommen zum Verbandswechsel und gehen dann wieder nach Hause. Relativ simpel und sollte auch schnell gehen. Diese Verbandswechsel kann sich unsereins wirklich nicht vorstellen. Ich war wirklich schockiert.
Zunächst werden die alten Verbände abgemacht, was bedeutet, dass die Verbände abgerupft werden und der Patient vor Schmerzen aufschreit. Wenn der Chirurg nett ist, dann werden die Verbände mit NaCl getränkt und dann abgerupft, was etwas weniger schmerzhaft ist. Was folgt ist eine „Beurteilung“ der Wunde, die dann wieder mit NaCl gespült wird (gerne auch jegliche andere Art von Infusionslösung, wie Ringer Lactat oder Glucose). Desinfektion? Fehlanzeige. Auch auf meine direkte Frage hin, ob noch mit irgendwas desinfiziert würde, wird mir gesagt, dass NaCl reicht. Aha... ist ja interessant. Kein Alkohol, kein Jod, kein gar nichts kommt an die Wunde. Lediglich bei tieferen Wunden kommt „Hydrogen Peroxide“ (Wasserstoffperoxid...) zum Einsatz. Das wird einfach in die Wunde gekippt und damit wird die Wunde „gereinigt“. Mehr oder weniger ist danach einfach alles weg geätzt. Unfassbar. Danach kommt ein neuer Verband auf die Wunde.
Äthiopische Abszessdrainage. Im Freien und das Fensterbrett als Ablage
Dass ich die hygienischen Zustände hier schwierig finde, habe ich ja schon in meinem Bericht über die Pädiatrie erzählt, aber die Chirurgen sind auch in der Beziehung schlimmer. Sie haben keine Ahnung was steril arbeiten bedeutet. Teilweise habe ich den Eindruck, dass sie denken, dass alles was man mit sterilen Handschuhen anfasst auch steril ist. Leider scheint es aber auch so, dass ihnen das keiner richtig zeigen kann, weil es niemand besser weiß.
Viele der Patienten haben offensichtlich (und sehr gut hörbar) große Schmerzen, aber die werden gar nicht zur Kenntnis genommen. Es wird den Patienten keine Art von Schmerztherapie angeboten. Ich habe naiverweise trotzdem nach Schmerzmitteln gefragt und ob die Patienten etwas bekommen. „Wir können ja schlecht die ganze Wunde zum Verbandswechsel mit Lidocain unterspritzen“. Geile Antwort. Der Arzt wollte mich mit Blicken töten, als ich gemeint habe:“Selbstverständlich nicht, aber mit einer systemischen Schmerztherapie kann man auch lokale Schmerzen lindern“. „Das sollen die Patienten einfach aushalten“, wurde mir erwidert. Das schwachsinnige daran ist, dass die Patienten die Medikamente hier selbst bezahlen müssen und entsprechend keine Ressourcen der Klinik verschwendet werden würden, aber die Patienten werden noch nicht einmal darüber informiert, dass es Schmerzmittel gäbe und sie – wenn sie die finanziellen Mittel haben – welche bekommen können. Vor allem sind die Schmerzmittel hier auch echt billig (auch in Relation zu den hiesigen Gehältern gesehen). Für mich ist das völlig unverständlich.
Der Mann mit dem durchgebluteten Verband wurde gegen Mittag angesehen. Der Verband wurde ziemlich rabiat abgenommen und die Aufschreie des Patienten wurden geflissentlich ignoriert. Was sich nun offenbarte war alles andere als appetitlich: ein zerfleischter Daumen, aus dem noch ein Teil des Knochens ragte. Mein erster Gedanke bei diesem Anblick: „Jetzt wird gleich amputiert“.
Die Verletzung war schon über 12 Stunden alt und Teile des Daumens waren offensichtlich bereits nekrotisch (d.h. Das Gewebe ist abgestorben und kann nicht mehr gerettet werden). Der vordere Daumenknochen war bei der Messerstecherei zerteilt worden, die Gelenkkapsel war eingerissen und die obere Hälfte des Daumens hing nur noch in Fetzen am Rest.
Der Finger... live sah er noch schlimmer aus.
Der Patient saß heulend vor uns und hat gebettelt den Finger nicht amputiert zu bekommen, was ich auch verstehen kann. Was macht der Arzt? Anstatt sich zwei Minuten Zeit zu nehmen und dem Patienten zu erklären, dass es mehr Sinn macht das nekrotische Gewebe und einen Teil des Knochens jetzt zu entfernen (dadurch würde er zwar einen Teil seines Daumens verlieren, aber gute Heilungschancen haben), macht er einen Fingerblock (das heißt man betäubt mit einem Lokalanästhetikum nur den Finger) mit Lidocain & Adrenalin (abolut kontraindiziert bei sowas...) und näht mit drei extrem halbherzigen Stichen ein bisschen von dem zerfetzten Geweben an den Finger und klatscht einen Verband drauf. Ich war fassungslos! Am schlimmsten fand ich was der Arzt dann gesagt hat:“ Das Gewebe ist ja eh nekrotisch und wahrscheinlich auch schon infiziert, in 3 Tagen werden wir den Finger dann amputieren“. So ein Mensch darf Arzt werden??? Anstatt das möglichste zu tun, um den Finger des Patienten zu retten und dem Patienten die Möglichkeiten zu erklären, wartet er trotz besserem Wissen einfach nur darauf den ganzen Finger amputieren zu können und den Mann zum Krüppel zu machen. Und das mit einem süffisanten Lächeln. Ich könnte immer noch kotzen wenn ich nur an diese Sache denke!
Dass ich als Studentin und Frau natürlich nichts zu melden habe und sämtliche Einwände die ich während dieser Episode erhoben habe übergangen wurden, muss ich wahrscheinlich eh nicht mehr erwähnen.
Leider ist das hier keine Ausnahme, sondern die Regel. Mir kommt es häufig auch so vor, als wäre ein Mensch hier nichts wert. Vielfach scheint es mir so, als würde Sachen die man mal gelesen hat einfach mal ausprobiert, ob der Patient aufgrund dessen Probleme bekommen könnte (auch lebensgefährliche...) ist egal. Bei uns würde man kein Tier so behandeln.

Stiffneck

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