Es ist schwer zu glauben, aber nach dem unglaublichen Gewitter letzte Nacht, scheint jetzt tatsächlich die Sonne, als wäre nichts gewesen. Lediglich der Matsch beweist, dass es geregnet hat.
Hoffentlich ist letzterer kein Problem für unseren ramponierten Jeep. Nicht dass wir noch eine Panne haben...
Um halb 8 ging es los in den Nationalpark und in Richtung Mursi. Ich hatte ja leichte Bedenken, dass die Straßen im Park nach den Gewitter gesperrt sein könnten (jede andere Panne hatten wir ja schon mitgenommen, warum nicht auch diese?) doch zum Glück war alles in Ordnung. Es ging relativ steil bergab über die verschlammten Straßen, aber unser Jeep mit Allradantrieb meisterte jede Hürde mit Bravour.
Nach dem Checkpoint für den Nationalpark ging es immer weiter in die Tiefen des Nationalparks. Auf dem Weg zu den Mursi begegneten uns viele Tiere: TikTiks (eine Art Miniantilopen), bunt schillernde Vögel, unzählige Schmetterlinge und eine Schildkröte. Hätten wir mehr Zeit gehabt wären es sicherlich noch mehr gewesen.
Irgendwo mitten im Park, haben wir an einem Baum einen Mann mit Gewehr eingesammelt. Ein Scout, der uns zu den Mursi führen soll und für uns dolmetschen soll (die Mursi haben ihre eigene Sprache). Weiter ging also die Fahrt. Auf der weiteren Strecke sind wir auch an einigen der Mursi vorbei gefahren, die sich auch schon in die besten Posen warfen und riefen „5 Birr, 5 Birr, Foto, Foto!“Die wissen, warum wir da sind...
Nachdem wir an zwei leblos wirkenden Strohhüttensiedlungen vorbei gefahren sind, kamen wir endlich am Mursidorf an. Unser Guide gab uns eine kurze Einführung, wie wir uns verhalten sollen. Zum Beispiel erklärte er uns, dass wir für jedes Foto das wir machen bezahlen müssen und auch, dass die Mursi die Klicks der Kamera mitzählen. Außerdem warnte er uns auch vor dass die Mursi auch aggressiv werden können, weshalb auch der Scout dabei ist.
Ein paar Mursi Basics: sie sind ein kleines, traditionell lebendes Volk im Mago Nationalpark. Der Grund warum sie weltweit bekannt sind, ist die Praktik den Frauen die Unterlippe zu dehnen und Teller einzusetzen. Mit 15 Jahren beginnt man damit ein Loch in die Unterlippe zu stechen, welches durch das einsetzen immer größer werdender Teller innerhalb von 2 Jahren aufgedehnt wird. Außerdem verzieren Männer wie Frauen ihre Körper mit Narben und Bemalungen. Die Bekleidung besteht aus bunten Stoffen und Ziegenhaut.
Auch bei den Mursi gibt es das „Cattle Complex“ Phänomen. Das bedeutet, dass Rinder nicht zum Handeln und zur Ernährung der Familie da sind, sondern ein Statussymbol. Um eine Frau heiraten zu dürfen muss der Bräutigam beispielsweise 20 Rinder und eine Kalaschnikow an den Brautvater zahlen.
Interessanterweise haben selbst die Mursi mitbekommen, dass es AIDS gibt. Natürlich wissen sie nicht genau was das ist, aber es gibt die Regel, dass Geschlechtsverkehr mit Menschen außerhalb des Stammes verboten ist. Das ist wichtig, weil die Mursi-Frauen nämlich nach der Geburt eines Kindes 3 Jahre lang nicht mit ihren Ehemännern schlafen müssen. Dafür „darf“ der Mann „rumvögeln“, aber eben nur mit Mursi-Frauen.
Wie auch immer, back to topic.
Während unser Guide uns ein bisschen Hintergrundwissen über die Mursi vermittelt hat, versammelten sich immer mehr Mursi um uns. Als Kalkidan seine Ausführungen beendet hatte, kam eine seltsam angespannte Stimmung auf. Es hatte ein bisschen was von dieser Ruhe vor eine Schlacht beginnt. Dann galt es sich auszusuchen, wen man fotografieren möchte. Ich kam mir vor wie auf dem Rindermarkt, gerade so als würde ich mir das schönste Tier zum schlachten aussuchen. Irgendwie widerlich, aber wenn man ein Foto möchte, muss man das Spiel mitspielen.
Zuerst habe ich einen jungen Mursi-Mann fotografiert, mit diversen Ziernarben, dann habe ich eine Frau mit Kind fotografiert. Schon ist man 20 ETB ärmer. Die wissen was sie verlangen müssen. Vor allem wissen sie aber einen zu bedrängen. Ich wollte ein Bild von einer jungen Frau haben und plötzlich war ich von mindestens 20 Mursi umlagert. Intimabstand. Was ist das? Interssiert die sowas von überhaupt nicht! Ich hatte ein Top, das mit Perlen bestickt ist, an und das hätten die mir fast vom Leib gerissen. Ich hatte plötzlich einfach mal 5 Paar Hände auf meinem Busen, die andere hat versucht meine Perlen an so einem Bändchen von meinem Top abzumontieren, während 3 weitere meine Frisur (ich hatte noch meine Cornrows) inspiziert haben. Ich stand dazwischen und konnte mich absolut nicht bewegen. Schrecklich, ich habe mich noch nie so bedrängt gefühlt: Gleichzeitig habe ich mich aber auch nicht getraut aus dieser Menschentraube auszubrechen, weil ich überhaupt nicht abschätzen konnte, wie die Mursi reagieren würden. Schlussendlich hat der Scout mich dann gerettet und sie „verscheucht“.
Die anderen hatten in der Zwischenzeit fleißig Fotos gemacht. Ich habe es gerade noch so hinbekommen, eine Gruppe von Frauen zu fotografieren und zu bezahlen, als wir versuchten uns loszureißen. Das war wirklich nicht einfach, die Mursi wollten uns nämlich partout nicht gehen lassen. Es war ein richtiger Kampf bis wir am Auto waren. Man versuchte ständig uns noch zum Fotografieren zu bewegen und zwar auf die aggressive Art.
Es war auch bizarr, wie die Mursi in ihren traditionellen Kleidern, mit ihren Waffen und Tellerlippen durch die Gegend liefen und dabei Bündel von Geld in der Hand hielten (und zwar nur schöne 1 Birr Scheine, hässliche nehmen sie nämlich nicht!). Endlich am Auto angekommen (hatte ich erwähnt, dass wir 10 Minuten für 10 Meter gebraucht haben?), mussten wir noch einen „Obermursi“ bezahlen. Immerhin nochmal 100 ETB pro Person. Erst dann konnten wir uns ins Auto retten, was aber nicht bedeutet hat, dass die Mursi von uns abgelassen hätten. Immer mehr umzingelten unser Auto, klopften gegen die Scheiben und sind auch nicht aus dem Weg gegangen. Unser Fahrer musste den Motor aufheulen lassen und hupen, damit sie endlich Platz machten und wir den Rückweg antreten konnten.
Nach dieser Szene war mir aber auch klar, warum der Scout sein Gewehr dabei hatte. Wenn sich allein beim Verlassen des Stamms solche Szenen abspielen, dann kann ich mir wirklich gut vorstellen, wie schnell die Stimmung in wirkliche Aggression umschlagen kann, wenn sich jemand falsch verhält. Und dann sind da ja noch die Kalaschnikows...
Trotzdem war es ein wahrhaft faszinierendes Erlebnis, bei den Mursi gewesen zu sein. Ich bin aber auch zwigespalten, ob es eine gute Sache ist, dass wir als Touristen diesen Stamm besuchen. Einerseits ist es spannend die Mursi zu erleben und sie zu sehen, andererseits frage ich mich inwiefern wir diese Menschen beeinflussen und vielleicht auch ihre Kultur kaputt machen. Vor 20 Jahren ist noch keiner mit einer Kalaschnikow durch die Gegend gelaufen und sie konnten in Ruhe ihrem Alltag nachgehen, heute sind sie eine Touristenattraktion und werden wie im Zoo begafft. Ob man das wirklich unterstützen sollte? Oder ist es so, dass wenn ich nicht dahin fahre, dann fährt halt ein anderer hin? Ich weiß es nicht und ich bin weiterhin unentschlossen, wie ich darüber denken soll. Einerseits bin ich froh das erlebt zu haben und die Mursi gesehen zu haben, gerade auch weil man nicht weiß wie lange sie noch so leben werden, andererseits habe ich auch ein schlechtes Gewissen, ob es wirklich richtig war, wie so viele andere vor mir hinzufahren und damit vielleicht auch den Untergang dieser Kultur zu fördern.
Was gibt es über den heutigen Tag sonst noch so zu berichten? Nach einer Panne im Nationalpark (Platten, linkes Rückrad), einem Stau (Baggerarbeiten im Nationalpark) und einem Mittagessen (der beste Avocadosalat ever!), ging es schon auf die Rückreise. Unser Ziel des Tages: Arba Minch.
Die Rückfahrt war bis auf eine weitere Panne unspektakulär und gemütlich. Wir hatten genug Zeit für die Fahrt, das Wetter war gut und ein bisschen Zeit für kleine Fotostopps hatten wir auch. Was will man mehr?
Wir waren auch richtig gut in der Zeit bis wir irgendwo zwischen Konso und Arba Minch auf Kühe gestoßen sind. Wir sind bestimmt eine gute dreiviertel Stunde lang hinter Kühen her und an Kühen vorbeigefahren sein. Das waren auch riesengroße Herden, die da auf der Straße lang getrieben wurden. Ich glaube ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viele Kühe gesehen!
Aufgrund dessen sind wir jedenfalls doch erst nach Einbruch der Dunkelheit in Arba Minch angekommen. Dummerweise war aus unerfindlichen Gründen heute die komplette Stadt ausgebucht. Es waren nur noch in einer Pension Zimmer zu bekommen und uns war sehr schnell klar warum...
Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass das der widerlichste Ort ist, an dem ich je geschlafen habe. Es stinkt, es ist dreckig, es gibt kein Licht im Bad und die Moskitonetze scheinen zu leben. Was hier an Getier so rumkrabbelt... übel... und die Flecken auf der Matratze... urgh...
Ich hoffe inständig dass es sehr schnell morgen früh ist!
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