Montag, 4. April 2011

04.04.11: Polytrauma auf Äthiopisch

Ein Polytrauma ist eine Ansammlung von mehreren potentiell lebensbedrohlichen Verletzungen. Häufig sind zum Beispiel schwere Autounfälle oder Stürze aus großer Höhe die Ursache. Beim Patienten der mir heute begegnet ist, war die Ursache eine Machete. Er hatte sich mit jemandem gestritten, der ihn dann mit der Machete angegriffen hat und so zugerichtet kam er dann in die Notaufnahme. Und damit begann auch das Drama...
5 Interns haben sich erstmal in einem Schneckentempo auf den Patienten zubewegt (kurz nach der 2stündugen Mittagspause...) und vollkommen unkoordiniert rumgewurschtelt. Dann wurde einem Familienmitglied ein Rezept in die Hand gedrückt und ein Päuschen gemacht. Ich dachte ich werd nicht mehr! Wie wär's mit Vitalparametern checken? Wunden beurteilen? Anamnese? IRGENDWAS????? Nichts. Einfach nichts. Nach einer viertel Stunde kam ein Mann mit einer Kiste zurück, darin waren Infusionslösungen. Das bewegte die Interns einen rosanen Zugang zu legen (viel zu kleiner Zugang, eigentlich bräuchte man 2 größere Zugänge um – im Falle eines Schocks – viel Volumen geben zu können). Dann kam man auf die Idee den Puls zu messen. Uhren sind unter Ärzten hier anscheinend out, jeder nimmt sein Handy zum Puls messen. Also erstmal Handy raussuchen, Timer finden und dann eine volle Minute (!) Puls mitzählen. Selbiger Intern verschwindet dann in einschläfernder Geschwindigkeit um ein Blutdruckmessgerät zu holen. 
Die Meute die uns umringt und beobachtet hat, teilweise konnte man sich nicht umdrehen vor lauter Zaungästen

Die restlichen haben sich inzwischen sterile Handschuhe geschnappt und NaCl um die Wunden zu spülen. Es geht sehr sauber und steril zur Sache. Ich glaube wenn man die Wunde mit Spucke gereinigt hätte, hätte das etwa den selben Wert. Das liegt hauptsächlich daran, dass hier anscheinend niemand das Konzept von Sterilität versteht. Ich habe den Eindruck, dass die Ärzte hier denken, dass alles was sie mit sterilen Handschuhen anfassen auch steril ist. So folgt der erste Griff mit sterilen Handschuhen gerne mal ins Gesicht um seine Brille hoch zu schieben oder auf die vollkommen versiffte Patientenliege. Die Wunden an sich werden auch nicht wirklich beurteilt, sondern nur mit NaCl ausgespült und dann mit einem „sterilen“ und „sauberen“ Verband zugeklebt. Selbstverständlich nicht ohne, dass jeder der Anwesenden mit „sterilen“ Handschuhen in jede der Wunden reingefasst hat. Infektion ahoi! Den Patienten zu entkleiden um das volle Ausmaß der Wunden zu sehen, macht auch keiner. So werden 2 größere Wunden einfach übersehen.
Nach fast einer Stunde, in der der Patient immer wieder vor Schmerzen aufschreit, frage ich die Interns was denn als Schmerzmedikation gegeben wurde. Man schaut sich gegenseitig an und einer schreibt ein Rezept für Tramal (zwar ein starkes Schmerzmittel, aber vermutlich nicht ausreichend bei diesen Verletzungen). Der arme Patient.
In der Zwischenzeit kommt man (nachdem ich etwas suggestiv gefragt habe) auf die Idee, dass man ja vielleicht mal auskultieren könnte. Der Patient wurde ja schließlich in die Brust gestochen mit der Machete. Pneumothorax oder Hämatothorax sind entsprechend Diagnosen, die man unbedingt ausschließen sollte! Also setzt man den Patienten auf (tolle Idee, zur Seite drehen hätte auch gereicht und wäre schonender gewesen), klaut sich mein Stethoskop und fängt an das Schulterblatt beidseits abzuhören und zu behaupten, dass da Atemgeräusche hörbar sind. Was für ein schlechter Scherz. Ich habe mein Stethoskop zurückerobert und selbst abgehört. Die Seite in die die Machete gerammt wurde, ist wenn überhaupt nur sehr schwach ventiliert und der Klopfschall ist sehr dumpf. Mein Tipp: Hämatothorax, aber das kann man nur durch eine bildgebende Diagnostik bestätigen.
Während dieses Rumgewurschtels, hat auch keiner die Vitalparameter regelmäßig überprüft oder den Patienten genau untersucht. Nach zwei Stunden, kam jemand auf die Idee, den Bauch abzutasten und siehe da: bretthart und schon bei der Perkussion (=abklopfen) stöhnt der Patient vor Schmerzen. Das sind Zeichen für eine Peritonitis (was zum später entdeckten offenen Darm passt) und so ein Patient würde eigentlich sofort in den OP gehören.
Habe ich eigentlich erwähnt, dass in der ganzen Zeit kein einziger Resident anwesend war? Ich hab zeitweise wirklich heftigste Aggressionen bekommen. Sowohl Jana als auch ich waren der Meinung, dass wir diesen Fall besser und schneller managen hätten können als diese Bande. Ich bin gerade mit meinem 9. Semester durch und meine Erfahrungen mit Polytraumata hält sich in Grenzen. 
Röntgen gab's nach nach 5 Stunden...!

Irgendwann hatten die Interns wohl alle keinen Bock mehr und sind einer nach dem anderen verschwunden. Der Resident der irgendwann aufgetaucht ist (nach 3 Stunden...) hat den Patienten halbherzig angesehen und ist wieder gegangen. Nach über 4 Stunden wurden endlich Röntgenuntersuchungen gemacht und anscheinden gibt er erst nach fast 8 Stunden in den OP. Ein Witz. Limitierte Möglichkeiten alles Gut und Recht, aber was in diesem „Emergency Departement“ heute abgelaufen ist, hat damit nichts zu tun. Das war einfach nur traurig mitanzusehen und dass der Patient – wenn nicht ein Wunder passiert – dank dieser „Erstversorgung“ dem Tod geweiht ist, muss ich eigentlich schon gar nicht mehr erwähnen.
Memo an mich selbst: hier keine Probleme haben, die chirurgischer Art sind!

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