Montag, 17. August 2009

Mal wieder ein Tag in der Notaufnahme

Es ist Sommer, das Semester ist gerade so vorbei und ich habe nichts besseres zu tun als in der Notaufnahme rumzugammeln. Moment wird sich jetzt der Leser denken, hat sie nicht diverse Blogeinträge darauf verschwendet zu erzählen wie toll und genial die Notaufnahme ist? Vollkommen korrekt. Das Problem dabei: andere Stadt, kleinere Klinik und zu schönes Wetter um sich irgendwie krank zu fühlen oder sonstigen Mist zu bauen. Ergo erwarte ich mir einen langweiligen Tag. Wenn diese 12 Stunden nicht bedeuten würden, dass ich im Winter 3 mal mittwochs frei haben werde, dann würde ich mich mit einem Roman in irgendeinen Park verkrümeln. Nun ja. In weiser Voraussicht, habe ich eine gute Freundin davon überzeugt ihren Ambutag mit mir dort zu machen, sodass bei akutem Anfall von Langeweile wenigstens der Ausweg Kaffee trinken besteht (diesen Ausweg gibt es im Krankenhaus natürlich immer, aber allein ist das ja langweilig). Der Tag scheint zu halten was er verspricht. Erstmal halb tot aus dem Bett gekrabbelt (ich brauche Urlaub), die Sonne strahlt schon um viertel vor 8 wunderbar (als wolle sie sagen „Ätsch du hockst jetzt den ganzen Tag drin!“) vom Himmel herunter. Kurz nach acht bin ich wie verabredet an der Klinik und wir machen uns auf den Weg nach drin. Ein Arzt (hat es offensichtlich noch nicht von der Nachtschicht nach Hause geschafft...) begrüßt uns mit einem hektischen „Ich kann euch nicht weiterhelfen – was wollt ihr?“. Auf den Hinweis hin „Wir sind Studenten“ werden wir in das Kabuff von Arztzimmer gelassen, wo uns schon der erste Schrecken des Tages erwartet: eine andere Studentin. Aber nicht irgendeine Studentin, sondern der Horror schlechthin: praktisch unbegabte Streberstudentin und von der ersten Minute an anstrengend. Der Versuch sich zu tarnen scheitert kläglich, denn ihr „Ich will so schnell wie möglich hier raus, wann wollt ihr gehen“ ist absolut unglaubwürdig. Bei meiner Antwort „Um 5, 9 Stunden müssen reichen“, rümpft sie die Nase. Ertappt!
However, ich beschließe mir von ihr nicht die Laune verderben zu lassen. Irgendwann um viertel vor 9 verirrt sich ein Arzt ins Kabuff (ungefähr 5 Minuten bevor wir drei dazu bereit waren einen der Spinde aufzubrechen um diesen gottverdammten fiepsenden Piepser zu zerstören).
Er stellt uns vor die Wahl: Chefarztvisite oder in der Notaufnahme rumwarten. Ich nehme – in einem Anflug von absoluter Güte – die Chefarztvisite. Ich kannte besagten Chefarzt schon aus meinem Blockpraktikum. Ein Horror für jeden Studenten, der morgens 3 Tassen Kaffe und mindestens 3 Stunden wach sein benötigt um einigermaßen zurechnungsfähig zu sein: er stellt Fragen ohne Ende, wünscht, dass man ihm die Sachen vom Verbandswagen reicht bevor er danach gefragt hat und schwebt - wie jeder Chefarzt – auf einer Wolke von Sterilität. Kurz gesagt: ich muss kurzzeitig geistig vollkommen umnachtet gewesen sein... . Aber – es ist kaum zu glauben – er stellt kaum Fragen (und diese sind beantwortbar), Der Verbandswechsel geht schnell und problemlos über die Bühne und ich muss nur einen Zugang legen. Nach einer Tasse Kaffe, O-Saft und einer Banane (ernsthaft: der Arzt mit dem ich mitgelaufen bin verdient dafür den Orden für den Helden des Tages), schauen wir uns noch einen Patienten an (Fazit: muss im OP revidiert werden), laufen illegalerweise 5 durch abgesperrte Bereiche und dann geht es zurück in die Notaufnahme. Und da erwartet mich: Studentin Nummer 4. Ihrerseits Tussi... ich frage mich ernsthaft warum die dort eine Famulatur macht. However, es ist Zeit für die erste Ratschpause – Streberchen lässt sich nicht abwimmeln. Durch absolut kryptische Gespräche und der Anweisung von einer Schwester Blut abzunehmen lässt sie sich doch noch abwimmeln. Ein Glück. Ich habe definitiv ein zu großes Schlafdefizit um die ganze Zeit nett zu ihr zu sein.
Ein neuer „Spezialautrag“ für die eine Freundin und mich: geht einen Zugang legen. Klingt einfach, ist aber kompliziert. Der Patient ist Araber (wie ich festgestellt hab eine äußerst schmerzempfindliche Gattung Mensch...) und versteht kaum Englisch. Na herrlich. Da ich diejenige von uns beiden bin die besser Zugänge legen kann, soll ich ran. Ich staue und taste ne einigermaßen brauchbare Vene. Der Patient fängt schon an zu stöhnen und das Gesicht zu verziehen als er die Nadel sieht. (Verflixt und ich hatte schon gehofft, dass auf ihn das Klischee nicht zutrifft...). Damit nicht genug. Ihm passt die Vene die ich mir ausgesucht habe nicht – als würde er etwas davon verstehen. Naja. Er zeigt mir, wo er die Nadel gern platziert hätte und ignoriert meine Aussage, dass das Rinnsal an seinem Arm nix taugen wird. Er besteht darauf. Ich steche rein (er wollte es ja nicht anders...!) und der Zugang sitzt natürlich nicht. Was für eine Überraschung aber auch. Ich punktiere (trotz Protesten) die Vene die ich von Anfang an haben wollte und die Kanüle sitzt. Dem Patienten passt das natürlich gar nicht, aber damit soll sich jemand anders rumschlagen. Not my job.
Zurück in der Notaufnahme: die beiden anderen gehen mit dem Arzt Zugänge legen und Patienten auf Station anschauen. Zeit für ein ausgedehntes Pläuschchen über Gott und die Welt. Irgendwann haben wir Hunger, beschließen aber auf die anderen zu warten (A. ist echt zu nett, ich wäre gegangen). Als sie nach einer dreiviertel Stunde immer noch nicht da sind gehen wir dann doch ins krankenhauseigene Kaffee um uns was zum Essen zu holen. Da stoßen (natürlich...) Streberchen und Tussi zu uns... . Nach ner gemütlichen Mittagspause (unser Arzt stößt auch dazu) geht es weiter. Ein besoffener Patient mit Verdacht auf Os metacarpale 1 Fraktur will gesehen werden. Wir untersuchen. Unfallmechanismus unbekannt (er war zu besoffen um sich daran zu erinnern), Schmerzstatus nicht sicher erhebbar (er war zu besoffen um sich daran zu erinnern, „aber jetzt tuts schon weh...“). Ab damit ins Röntgen.
Nächster Patient, auch betrunken. Die Fahne weht einem dermaßen entgegen, dass man er selbst aus 5 Metern Entfernung noch über der Promillegrenze war. Seine Geschichte: laut Bericht hat er sich bei ner Schlägerei an einem Bierglas geschnitten, laut eigener Aussage hat er in einen Bierkrug gehaun, der zerbrochen ist und ihn dabei 2 Strecksehnen durchtrennt hat. Mit dem RTW ist er um 4 Uhr früh in eine andere Klinik in der Nähe von München gekommen und wurde dort notdürftig versorgt. Der Arm wurde vorsorglich eingegipst und der Patient hat das Krankenhaus gegen Revers verlassen. Ein normaler Mensch würde nun nach Hause gehen, unser Patient ist wieder zurück zur Party und hat dort gefeiert und getrunken bis um halb 7 Uhr früh. Dann ist er nach Hause, hat seinen Rausch hm... ausgeschlafen wäre übertrieben..., irgendsowas in der Richtung halt und wurde dann von Mama zu uns in die Notaufnahme geschleppt um ein handchirurgisches Konsil zu bekommen.
Als nächstes hatten wir die klassische Oma mit Oberschenkelhalsfraktur (Oma Käthe läst grüßen ^^) und dann war wieder Langeweile angesagt.
Zwischendurch wurde es noch mal ganz witzig: eine Südkoreanerin wurde nach einem Fahrradsturz zu uns gebracht. A. und ich sollen sie aufnehmen. Herrlich. Wir versuchen ne vernüftige Anamnese in Englisch zu machen, was aber leider an den Sprachkenntnissen der Patientin scheitert. Es endet darin, dass wir alles was wir wissen wollen pantomimisch darstellen... Das hätte man filmen sollen – definitiv die witzigste Anamnese meines Lebens.
Nun ja... dann gings erstmal weiter mit LANGEWEILE. A. und ich haben erstmal ne Runde geratscht (uns gehen die Themen zum Glück nicht so schnell aus). Plötzlich wird unser Gespräch von einem hysteischen Klingeln unterbrochen. Das rote Telefon! (für die Unwissenden: das „rote Telefon“ nennt sich auch Katastrophentelefon und klingelt dann wenn Patienten angeliefert werden, die in den Schockraum müssen, wenn es einen Massenanfall an Verletzten (MANV) gibt oder irgenwas anderes gravierendes passiert ist). In unserem Fall war es ein Autounfall. Eine 58-jährige Frau hat ein Stoppschild übersehen, ist mit 2 Autos kollidiert und hat sich mehrmals überschlagen. Die Frau wird als ansprechbar und stabil gemeldet, Wirbelsäulentrauma nicht auszuschließen (das heißt so viel wie: Patientin ist wach und redet, atmet ohne Hilfe und die Funktion des Herz-Kreislauf-System ist ebenfalls intakt; durch den Unfallmechanismus kann es aber zu Verletzungen von inneren Organen, Lunge oder Wirbelsäule (die interessieren uns erstmal am meisten, so ein gebrochenes Bein tut zwar weh, bringt einen aber erstmal nicht um). Es wird uns angekündigt, dass die Patientin in 20 Minuten mit dem Helikopter bei uns ankommen wird. Es geht also alles Schlag auf Schlag: der Schockraum wird vorbereitet, das Team findet sich zusammen (1 Chirurg, 1 Anästhesist, 1 Radiologe, 2 Pflegekräfte) und rüstet sich mit Röntgenschürzen aus. Es wird besprochen was bisher über die Patientin bekannt ist und das weitere Vorgehen geplant (ist die Patientin schockig (= sehr niedriger Blutdruck und sehr scheller Puls) bleibt man erstmal im Schockraum und stabilisiert sie, ist sie soweit stabil (so was kann sich in sekundenschnelle ändern, deshalb verlassen wir uns nicht auf die Angaben die wir per Telefon bekommen haben) fahren wir gleich ins CT und führen die bildgebende Diagnostik durch und sehen dann weiter). Dann geht es nach draußen. Das Team und wir Studis warten (angenehmerweise in der Sonne) auf den Helikopter, der auch wenige Minuten später seinen doch ziemlich beeindruckenden Auftritt hat. Eine millimetergenaue Landung später fahren zwei Schwestern den Patienten zu uns. Es folgen der Heli-Arzt plus Assistenten. Im Schockraum erfolgt für alle hörbar die Übergabe: die Patientin war kurzzeitig bewusstlos und gibt an auf einem Auge weniger zu sehen (Hirnblutung? Gehirnerschütterung? Schädelbruch?), ist aber seitdem stabil und wach, kommuniziert sinnvoll, GCS 14. Die Stimmung im Raum lockert sich merklich auf; es wird gewitzelt und gelacht. Soweit, sogut. Wie vorher besprochen fahren wir gleich ins CT für die Bildgebung. Während die Patientin gelagert wird untersuchen Chirurg und Anästhesist die Frau kurz.
Dann heißt es: ab in den Überwahungsraum, das CT startet. Aufgrund des Unfallhergangs wird ein GanzkörperCT gefahren. Schon bei der schnellen Durchsicht wird klar: der Patienin ist nichts schlimmeres passiert. Bei einem genaueren Blick zeigt sich eine Orbitaboden-Fraktur (das ist der Boden der Augenhöhle). Aber das wars – bis auf einige kleinere Schnittwunden - schon mit den Verletzungen. Man kann wirklich nur sagen: Glück im Unglück, es hätte auch ganz anders sein können.
Kaum sind wir wieder in der Notaufnahme klingelt das rote Telefon schon wieder. Ein Suizidversuch. Ein Mann hat versucht sich mit Messerstichen in Brust und Bauch selbst zu töten. Er soll etwas verwirrt wirken und soweit stabil sein. Wieder das gleiche Procedere wie vorhin: ab in den Schockraum, besprechen was man weiß, man bereitet sich in diesem Fall auf etwas schlimmeres vor. Die Stimmung ist konzentriert und gespannt. Der Patient wird gebracht, er ist blass und klatschweißig. Erstmal wird er auf die Liege im Schockraum umgelagert und es wird eine sog. FAST durchgeführt (focused assessment with sonography in trauma; es wird innerhalb von wenigen Sekunden überprüft ob sich freie Flüssigkeit (also Blut) im Bauch oder im Herzbeutel befindet). Das scheint nicht der Fall zu sein, aber der Patient ist schockig. Zwar nur leicht, aber es ist Vorsicht geboten. Man entschließt sich ihn erstmal doch ins CT zu fahren und ein CT von Thorax und Abdomen zu machen. Schon in der Übersichtsaufnahme sieht man: kein Pneumothorax (das ist eine zusammengefallene Lunge). Sehr gut. In den Schichtbildern zeigt sich: Herz und Lunge sind unverletzt und auch im Abdomen scheint er nichts gravierendes getroffen zu haben. Es ist aber etwas Blut um die Leber Herum zu sehen und es wird beschlossen eine explorative Laparoskopie durchzuführen. Es wird eine Assistenz im OP gebraucht und A. und ich melden uns. Wir gehen nach oben und schleusen uns ein (bevor man in den OP darf muss man sich Kleidung anziehen, die für diesen Bereich ist, andere Schuhe, Haube und Mundschutz; Uhren und Schmuck sind tabu, alle Wertgegenstände werden in einem Spind gelegt).
So kommen wir im OP an. Die Anästhesistin leitet gerade die Narkose ein. Der Chirurg stößt wenig später zu uns. Ich werde für die Assistenz ausgewählt weil ich schon steril im OP war und nähen kann. Also waschen wir uns, werden steril angezogen und ab geht die Post. Glücklicherweise stellen wir fest, dass er zwar seine Leber angeritzt hat, aber es eine sehr oberflächliche Verletzung ist, die nicht weiter versorgt werden muss. Die ganze Prozedur ist nach 20 Minuten vorbei und Erleichterung macht sich breit. Ich soll die Schnitte die nötig waren um die Werkzeuge und die Camera zu positionieren zunähen. Juhu. Ich bin da leider noch nicht besonders geübt und deshalb etwas langsam, aber es wird. Währenddessen nimmt der Chirurg die Wunde im Thorax genauer unter die Lupe. Er steckt das stumpfe Ende einer Pinzette in die Wunde im Thorax. „Ich glaub da pulsiert was“, meint er und nimmt meine Hand, schaut mal eben so auf meine Finder und sagt „dein kleiner Finger sollte da reinpassen“ und schiebt meinen kleiner Finger in das Loch. Erstmal fühle ich nur die Haut, dann geht es an einer Rippe vorbei immer weiter in die Tiefe. Irgendwie krass. Als mein Finger bis zum Anschlag im Thorax steckt fühle ich das erwähnte „Pulsieren“ auch. Es ist das Herz das gegen meinen kleinen Finger schlägt. Einfach nur abgefahren und total faszinierend (Nicht-Mediziner mögen das eventuell etwas makaber finden). Nach einigen Sekunden (die mir aber wesentlich länger vorkommen) zieht er meinen Finger wieder raus und meint nur „cool, was?“ und ich kann nur zustimmen. Weiter geht es mit zunähen. Der Chirurg lässt mich machen und diktiert in Zwischenzeit draußen seinen OP-Bericht. Ich sags euch, es ist echt schlimm wenn man als einzige am OP-Tisch steht und alle anderen um einen herum drauf warten, dass man endlich fertig ist mit nähen. Nach einer gefühlten Ewigkeit bin ich fertig und es ist vorbei. Wir gehen in die Umkleide, schleusen aus und sind zurück in der Notaufnahme (wir haben definitiv den genialeren Fall als Tussi und Streberlein erwischt. YES!) und da es schon halb 8 ist beschließen wir, dass es nun wirklich genug ist und wir nach Hause wollen. Also holen wir unsere Logbücher und lassen die Ärzte unterschreiben, bedanken uns für den genialen Tag und gehen total gehyped nach Hause.