Dienstag, 29. März 2011

28.03.11 – 31.03.11: Die Pädiatrie – Teil 1: OPD

Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, bei den ganzen Dingen die ich hier in den letzten Tagen gesehen und erlebt habe...
Die Pädiatrie im Jimma University Specialized Hospital ist in 2 Teile gegliedert: die Station (die wiederum aus „ward“, „critical“, „neonatology“ und einer Aufpäppeleinheit für unterernährte Kinder besteht) und dem Outpatient Departement – kurz OPD.

Die ersten drei Tage habe ich im OPD verbracht. Das ist ein einstöckiges Gebäude mit mehreren Untersuchungsräumen und einer Veranda auf der Bänke für die Wartenden stehen. Der Ablauf ist der, dass die Interns (bei uns wären das PJler) die Patienten in einen der Räume rufen, untersuchen und evtl. weitere Untersuchungen (meist ein Labor) anordnen. Ein Resident ist immer auf der Veranda unterwegs um akute Fälle gleich auszusortieren und zu behandeln oder aufzunehmen. Das System an sich finde ich nicht schlecht organisiert. Ein großes Manko ist für mich allerdings, dass es keine Privatsphäre gibt. In einem Behandlungsraum werden drei Patienten gleichzeitig untersucht, dabei ist mindestens ein (eher 3) Familienmitglied anwesend, der Intern/Resident/Student und teilweise völlig unbeteiligte Menschen, die einfach da sind. All das auf vielleicht 8m².
Ich bin meistens mit Demeke – einem Pädiatrieresident – mitgelaufen. Entgegen dem, was uns so erzählt wurde, ist man hier ohne fließendes Amharisch oder Oromifa echt aufgeschmissen. In der Chirurgie oder der Gynäkologie, wo man nicht so viel mit den Patienten kommunizieren muss, ist das bestimmt einfacher, aber bei internistischen Fächern, wo vor allem die Anamnese einen großen Stellenwert hat, ist man darauf angewiesen, dass jemand für einen übersetzt.
Die OPD bevor die Patienten kommen

Demeke hat meistens auf der Veranda „patrouilliert“ und nach kritischen Fällen Ausschau gehalten. Je nachdem wie kritisch der Zustand des Patienten eingeschätzt wird, wird er gleich an einen Intern weitergereicht oder eben sofort von uns untersucht. Eine gute Art und Weise einen Überblick zu bekommen, was hier für Patienten behandelt werden. Sehr viele Kinder werden wegen Durchfall oder Erbrechen hergebracht. Interessanterweise auch häufig von den Vätern, das hatte ich nicht erwartet.
Bei den Kindern mit Erbrechen und Durchfall ist es am wichtigsten festzustellen, wie stark dehydriert sie sind. Bei keiner oder milder Dehydratation werden sie nicht aufgenommen sondern lediglich mit einer „oral rehydration therapy“ versorgt. Das ist einfach eine Elektrolytlösung, die die verlorenen Flüssigkeit im Körper substituiert.
Die nächste Hauptgruppe der Patienten sind Kinder mit Lungenerkrankungen. Lungenentzündungen, Tuberkulose, Asthma... Häufig sind die Kinder „richtig“ krank, weil die Eltern anstatt frühzeitig zum Arzt zu gehen erst zu traditionellen Heilern (die Muslime) oder zum „Holy Water“ (die Orthodoxen) gehen und diese Methoden ausprobieren. Erst wenn das versagt hat kommen sie zum Arzt, was häufig einfach zu spät ist. Außerdem ist ein Großteil der Kinder unterernährt und haben deshalb auch keine Reserven auf die der Körper im Krankheitsfall zurückgreifen kann. Dementsprechend – habe ich den Eindruck – werden die Kinder hier viel leichter schwer krank als bei uns.
Generell ist das Patientenspektrum sehr breit.
Was ich auch mehrfach gesehen habe, waren Jungen mit ei
nochmal die OPD
ner Phimose nach Beschneidungen. Gerade bei den muslimischen Familien ist es hier Gang und Gäbe, dass die Jungen beschnitten werden. Die Beschneidungen werden aber selbstverständlich nicht von Ärzten durchgeführt sondern von irgendwelchen Beschneidern. Ich will gar nicht wissen, wie das bei denen zugeht, aber bei den Infektionen die ich nach Beschneidungen hier gesehen habe, sicher nicht sauber. Einer der Jungen die ich gesehen habe, hatte eine Infektionen, die die sich schon zu einem Gangrän umgewandelt hatte (ein Gangrän ist Absterben von Gewebe durch schlechte Blutversorgung) Der hat gebrüllt beim pinkeln, das kann man sich nicht vorstellen. Das Kind musste solch unfassbaren Schmerzen gehabt haben... Vor allem hat der Beschneider bei ihm auch noch gepfuscht. Er hatte nämlich nicht nur die Vorhaut abgeschnitten sondern auch einen Großteil der Eichel, dazu noch die momentane Wundinfektion und eine Nierenbeckenentzündung (wegen der Schmerzen hat der Junge einfach nicht mehr gepinkelt). Die Eltern sind auch, als es dem Kind schlecht ging erst zu einem Heiler gegangen, bevor sie in die Klinik gekommen sind. Und jetzt stehen die Ärzte da mit einem Kind in einem höchst kritischen Zustand, bei dem es unklar ist ob er überlebt oder nicht.
Ein anderer Patient der mir im Gedächtnis geblieben ist, war ein etwa 10-jähriger Junge, der mit Lähmungserscheinungen zu uns gebracht wurde. Die Anamnese ergab, dass er nicht geimpft ist und die Symptomatik klang sehr nach Poliomyelitis (=Kinderlähmung). Da fragt mir der Arzt „How do you treat polio in your country?“. Ich war erstmal sehr perplex und musste dann antworten: „In my country there is no polio, because everyone gets the vaccination“. Vor allem: ich hätte absolut keine Ahnung, was ich bei einem Patienten mit Polio machen müsste. Alles was wir in der Uni darüber gelernt haben, sind ein paar Symptome und ist ja kein Problem, weil es ja eine Impfung gibt.
Eine ziemlich coole Sache war, dass ich einen Patienten mit Lepra gesehen habe (cool im Sinne: Fall wie im Lehrbuch, aber zum Glück auch gut therapierbar). Selbst die Ärzte hier sehen sehr selten Lepra, weil man sehr lang engen Kontakt zu einem Leprakranken haben muss, damit man sich überhaupt ansteckt (in dem Fall, die Mutter). Der Junge hatte wirklich die klassischen Zeichen von Lepra und man konnte ihn perfekt klinisch diagnostizieren, weil die Symptome wirklich so klassisch waren.
Apropos Diagnostik: es ist der Wahnsinn wie wenig den Ärzten hier zur Verfügung steht um ihre Diagnose abzusichern. Sie können einige Basislaborparameter abnehmen (Blutbild, Leber- und Nierenwerte, Elektrolyte, Blutsenkungsgeschwindigkeit und viel mehr hab ich nicht mitbekommen) eventuell ein Sono machen lassen (aber extremst selten) und Röntgen. Das heißt, dass im Prinzip die komplette Diagnose auf dem Wissen des untersuchenden Arztes beruht. Ich muss auch sagen, dass ich den Eindruck habe, dass was klinische Diagnosen betrifft, die Ärzte hier wirklich sehr gut sind. Da könnten wir uns wirklich ein Scheibchen abschneiden.

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