Montag, 12. März 2012

Arbeiten in der Schweiz



Ich dache mir, ich erzähle euch mal ein bisschen, wie hier Medizin gemacht wird.
Man kommt ja kaum umhin mit hohen Erwartungen in die Schweiz zu gehen, schließlich heißt es in Deutschland ja immer, dass hier einfach alles besser sei.
Ein Tag auf der Internistischen Bettenstation schaut folgendermaßen aus:

  • 08:00 Uhr: Arbeitsbeginn Assistenzärzte
  • 08:30 Uhr: (in etwa) Arbeitsbeginn UHUs & Einlesen in die Neueintritte
  • 09:00 Uhr: Röntgenrapport
  • 09:15 Uhr: Rapport (Patientenvorstellung aller (!) seit dem Vortag neu eingetretenen Patienten & Minifortbildung zu nem beliebigen Thema
  • ab spätestens 09:40 Uhr: Kaffepause bis um
  • 10:00 Uhr: 1 - 1,5 h Visite
  • 11.30 Uhr: Fortbildung/Trouble Shooting/Pathologiebesprechung oder ähnliches
  • 12:15 Uhr: Mittagspause
  • 13:00 Uhr: back to work bzw. nochmal Fortbildung an manchen Tagen
  • ab spätestens 14:00 Uhr: Stationsarbeit; Briefe schreiben; arterielle Punktionen; evtl. klinische Tests durchführen; Besprechung mit Konsiliarärzten (die spazieren im Laufe des Nachmittags vorbei; je nach Patienten die gerade da sind); Organisation von Untersuchungen und Auswertunb/Beurteilung von selbigen; Kardexvisite mit den Schwestern; Freitags zusätzlich Wochenendübergaben schreiben
  • 18:00 Uhr: Arbeitsschluss (kann aber auch Mal später werden...)
Samstag und Sonntag haben die Ärzte auf der Bettenstation frei (keine Dienste, keine Bereitschaft, RICHTIG frei!). Diese werden dann von der Notaufnahme mitversorgt. Dafür haben die Ärzte aber eine Wochenarbeitszeit von 50 Stunden pro Woche, woran sich größtenteils auch gehalten wird. Überstunden werden in Freizeitausgleich umgewandelt oder bezahlt.
Im Vergleich dazu: Wochenarbeitszeit in Deutschland ist vertraglich 40 Stunden pro Woche, aber die meisten Ärzte die ich kenne arbeiten locker 60 Stunden pro Woche und mehr. Freizeitausgleich oder Bezahlung der Überstunden sind beide schwer zu bekommen.
Ein Assistenzarzt betreut hier 8 - 9 Patienten (auf meiner Station sind 2 Assistenzärzte) und für eine Station ist ein Oberarzt zuständig (der auch verfügbar ist!). In Deutschland betreut man als Assistenzarzt oft deutlich mehr (nicht selten 1 Assistenzarzt allein auf Station mit 30 Patienten) Patienten.
Die Pflege hat es hier übrigens auch besser. 3 Patienten pro Kopf! Vergleich Deutschland: ca. 10 Patienten pro KrankenpflergerIn.
Ganz wichtig: Blutentnahmen und Nadeln legen sind hier Aufgaben der Pflege. Ich muss auch sagen, ich finde, dass die Pflege hier auch besser ausgebildet ist, was zu einem viel kollegialeren Verhältnis zwischen Ärzten und Pflege führt. Finde ich sehr angenehm!
Grundsätzlich muss ich sagen: das Gesundheitssystem ist hier mit Sicherheit besser als in Deutschland. Die Arbeitsbedingungen sind sicherlich kein Zucker schlecken, aber sie sind wesentlich geregelter als in Deutschland und werden vor allem besser eingehalten. Auch die Bezahlung ist besser als in Deutschland. Und Medizin mit genug Personal macht einfach mehr Spaß!
Man muss aber auch sehen, dass hier das soziale Netz nicht so gut ist wie in Deutschland. Viele Sozialleistungen gibt es einfach nicht oder sie sind deutlich schlechter. Ein Beispiel: ich habe mich mit einer schwangeren Ärztin unterhalten. Man bekommt in der Schweiz 4 Monate Mutterschutz. Das schließt Fehlzeiten vor der Geburt mit ein! Jeden Tag den man länger nicht arbeitet muss als unbezahlter Urlaub genommen werden.
Es hat glaube ich alles seine guten und schlechten Seiten. Ich muss sagen ich arbeite hier sehr gern. Diese angespannte Atmosphäre, die es in so mancher deutschen Klink wegen befristeter Verträge, Einstellungssperren und chronischer Unterbesetzung gepaart mit völliger Überarbeitung gibt, habe ich hier noch nicht erlebt. Die Stimmung ist gut und das obwohl viel gearbeitet wird und das ist sehr angenehm. Es gibt viele Fortbildungen, bei denen man wirklich was lernen kann, aber auch auf Station ist im Normalfall Raum für Fragen. Ich habe es keine Sekunde bereut für‘s PJ hierher gegangen zu sein. Man ist hier nicht der Blutabnahmedepp, sondern wird tatsächlich als Mitglied des Teams wahrgenommen.
Ich konnte vorher nie so Recht glauben, dass an den endlosen Schwärmerein die Schweiz betreffend wirklich alles stimmen soll. Aber bisher kann ich dem Lob nicht widersprechen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen