Montag, 30. März 2009

Meine Nachtschicht – Klappe die Erste


Meine erste Nachtschicht hatte ich geplant und bis deshalb brav um 8 Uhr zum Dienst erschienen (eine Stunde zu früh wie es sich herausstellte...). Die beiden Ärzte waren zu der Zeit mit ihren aktuellen Patienten gerade beschäftigt und nachdem ich keine Lust hatte Löcher in die Luft zu starren (und förmlich darum gebettelt habe, mit irgendwas beschäftigt zu werden) hieß es „geh doch mal zu diesem akuten Abdomen in Box 25“. Dort erwartete mich eine relativ junge, südamerikanische Patientin mit ihrem Lebensgefährten. Sie war definitiv sehr schmerzgeplagt und versuchte mir (erstmal total durcheinander) was ihr denn fehlt. Als ich begriffen hatte, dass Englisch wohl die Sprache war, mit der die Verständigung wohl am einfachsten wäre, habe ich einfach die Anamnese und Untersuchung in Englisch gemacht (ich sag’s euch... ich war in der Situation echt froh über meinen Medical English Kurs...). Sie berichtete mir von stechenden Schmerzen, die von epigastrisch in den rechten Unterbauch gewandert sind, Übelkeit mit Erbrechen und Fieber. Die Symptomatik lässt einen ja schon mal aufhorchen und in Richtung Appendizitis denken (wobei man natürlich alle anderen Ursachen für ein akutes Abdomen (Darmverschluss, Mesenterialinfarkt, Pyelonephritis (das ist zwar keine Ursache für ein akutes Abdomen, kann aber durchaus ne ähnliche Symptomatik verursachen). Bei einem akuten Abdomen sollte man natürlich diese Untersuchung besonders gründlich machen (und die rektale Untersuchung auch nicht vergessen...). Nachdem ich die Untersuchung beendet hatte (jedes Appendizitiszeichen war positiv), ging ich also zu meinem betreuenden Arzt, berichtete ihm von der Patientin und äußerte, dass ich stark auf eine Appendizitis tippe. Er meinte mit einem Augenzwinkern, dass er das auch denke. Zur Absicherung wurde aber erstmal noch ein Ultraschall gemacht (wo leider keine Kokkade zu sehen war... (das heißt: der eindeutige Ultraschallbefund, dass eine Blinddarmentzündung vorliegt hat gefehlt...). Also ordneten wir erstmal ein chirurgisches Konsil an und wandten und dem nächsten Patienten zu.
Das waren dann solche Banalitäten wie ein Herr der sich Herzrhythmusstörungen eingebildet hatte (wörtlich eingebildet) und sich dachte er lässt das „mal eben“ in der Notaufnahme abklären, weil er erst in 3 Wochen nen Termin beim Kardiologen bekommen hat... Na toll. Schrecklich unsympathischer Mensch (den ich erstmal netterweise Pieksen durfte ^^). Nun ja, dann hab ich Blut abgenommen, überblicksmäßig nach den Beschwerden gefragt (Aussage nach 5 Minuten zutexten: keine), ein EKG geschrieben und bin dann wieder abgedüst. Er war natürlich die ganze Zeit wutentbrannt, dass er 6 Stunden warten musste, weil er doch PRIVATPATIENT sei... Ich hab ihm dann erklärt, dass es in der Notaufnahme nur dringende und weniger dringende Fälle gibt und der Status Privatpatient eigentlich keinen interessiert. Das war natürlich nicht wirklich förderlich um ihn ruhig zu stellen (in dem Moment hab ich mir wirklich eine Tavor für ihn gewünscht...). Ich hab ihn dann mal ziemlich direkt gefragt ob er denkt wir drehen hier nur Däumchen, oder ob er evtl. die 15 Notarzttransporte mitbekommen hat, die in der Zeit gekommen sind. Da hat es dann wohl irgendwie doch Klick gemacht und er hat wenigstens die Klappe gehalten.
Eine weitere „Banalität“ (wenigstens für Notfallmediziner) war eine junge Frau, die äußerst besorgt über einen „Knubbel“ im äußeren oberen Quadranten ihrer Brust bemerkt hatte. Selbstverständlich kann so was tatsächlich etwas Gravierendes sein (für die Unwissenden: im rechten oberen Quadranten der Brust treten die meisten Carcinome in der Brust auf), aber es ist insofern eine Banalität, weil es sie nicht in den nächsten 24 umbringen wird. Wir konnten einwach wirklich nichts tun, als der Patientin zu raten, dass sie am Montag zu ihrem Gynäkologen gehen solle, mit den Brief den wir ihr mitgegeben haben und sich dort genau untersuchen lassen sollte.
Zurück zu unserer Appendizitis-Patientin. Das Labor war inzwischen da und passte auch zu unserem Verdacht, wenn da nicht die Chirurgen wären. Die kamen natürlich zu einem Konsil vorbei (auch noch zu zweit!!), haben die Patientin untersucht und beide waren der festen Überzeugung: „das ist doch nie ein Blinddarm!“. Also haben wir sie zu den Gynäkologen geschickt damit die sie auch noch mal untersuchen (Ovarialzysten können auch solche Symptome auslösen). Die Frau kam auch postwendend wieder zurück, mit der Aussage: gynäkologisch o.p.B.
In Zwischenzeit war ich bei einer neuen Patientin. Sehr nette Dame Mitte 50, die richtig krank aussah, auch über leicht reduzierten AZ klagte und Bauchschmerzen hatte. Erstmal wieder Anamnese, Untersuchung, Labor. Bis auf einige Vorerkrankungen, war bei der eigentlich alles paletti, bis eben auf diese Bauchschmerzen. Dann kam das Labor, das uns erstmal vom Hocker gehaut hat. CRP (= C-reaktives Protein, ein Parameter, der bei akuten entzündlichen Proessen erhöht ist) über 300 mg/l (normal ist bis 5 mg/l), Leukozyten stark erhöht (das sind die Abwehrzellen in unserem Blut), aber keine Idee was der Frau fehlen könnte. Also erstmal Röntgen Thorax um eine Pneumonie auszuschließen und diverse andere Untersuchungen um herauszufinden was ihr fehlen könnte, aber da war NICHTS. Es war wirklich zum Mäuse melken. Erstmal haben wir die aber zur Klärung stationär aufgenommen.
Und schon kam der nächste Notfall. Noch ein akutes Abdomen. Eine Ärztin. Super (Ärzte sind meist schreckliche Patienten, wie sich später noch zeigen wird). Erstmal schnell gefragt was ihr fehlt, wie sich die Beschwerden äußern, Labor abgenommen, und schnell untersucht. Verdacht auf Ileus (=Darmverschluss). Chirurgen waren dank unserer Apendizitispatientin mal wieder da („NEIN, das ist NIEEEEEE eine Appendizitis... Ihr Internisten immer“ *spöttisches Augenrollen*), die haben sich die Dame auch gleich mal angeschaut und über die Radiologie gleich mit in den OP genommen (es war tatsächlich ein Darmverschluss).
In der Zwischenzeit kamen die ersten C2ler (=zumeist obdachlose Alkoholiker, die von Passanten gefunden worden sind... (manchmal allerdings auch junge Leute, die einfach viel zu viel gesoffen haben), die nach kurzer Prüfung der wichtigsten Vitalparameter in ner Ecke (in wahnsinnig bequemer stabiler Seitenlage mit Nierenschale vor der Nase) ihren Rausch ausschlafen...).
Inzwischen war es nach Mitternacht und es wurde etwas ruhiger. Ruhiger bedeutet aber leider auch, dass man sich um Fälle kümmern muss, die man etwas vor sich hergeschoben hat. So zum Beispiel auch Herr unleserlicher Name mit seinen Vagabundenbeinen. Allein die Beschreibung Vagabundenbeine war natürlich schon sehr prickelnd, weil man sich aus der Diagnose schon mal herleiten konnte, wie der Patient denn ausschauen würde... Nun ja... es ging halt irgendwann doch nicht mehr anders, also: Handschuhe und Schürze angezogen und ab zum Patienten. Was wir initial als einen weiteren C2ler abgetan hatten (der Herr war Stammkunde...), stellte sich dann leider als was ganz anderes – und leider auch ernsthaftes – heraus. Erstmal das Labor ansehen. Auf den ersten Blick relativ unauffällig, bis der Blick dann auf die Thrombozyten fällt. Die waren nämlich praktisch nicht vorhanden. Lustigerweise hatte der Patient kein einziges Anzeichen das darauf hinweisen würde. Dass er im Krankenhaus blieben muss, das war nun schon mal klar und seine Stauungsdermatits war plötzlich auch nicht mehr so wichtig. Wir haben zunächst die weitere Diagnostik eingeleitet und ihm ein Bett auf Station verschafft. Eine Woche später hab ich dem Herrn noch mal nachgespürt. Bisher noch keine fixe Diagnose, aber Untersuchung in jede Richtung. Die Schiene die nun gefahren wurde, war in Richtung Plasmozytom... Kurz: erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Währenddessen waren wir (mal wieder) bei der Appendizitis. Die schrie inzwischen trotz Schmerzcocktail beinahe vor Schmerzen und die Chirurgen willigten (endlich) ein „da mal reinzuschauen“.
Kaum waren wir einen halben Schritt aus der Box draußen, ging der nächste Trara los: die Polizei kam (3 kleine grüne Männchen an der Zahl) mit einem Krawallmacher in Handschellen. Er sollte wohl an der Reeperbahn verhaftet werden (warum auch immer... ich wills gar nicht wissen) und hat dann einen auf sterbenden Schwan gemacht. Deswegen: ab ins Krankenhaus mit ihm, damit er für gesund (und damit verhaftungstauglich ^^) erklärt werden konnte. Dummerweise war der gute Mann dermaßen aggressiv, dass die zu dritt kaum gegen den ankamen. Ergo: ab in die Gummizelle mit ihm, die Polizisten vor der Gummizelle postieren und mit der Arbeit weitermachen (wir sind ja schließlich alle nicht wild auf ein blaues Auge). Aber die Show war gut ;)
Zwischenzeitlich kam ein höchst charmanter Patient (für alle die das jetzt nicht verstanden haben: DAS IST IRONISCH GEMEINT!!). Laut seiner Eigendiagnose (es war ein Pädiater) hatte er ein akutes Abdomen... laut unserer Diagnose, der Labor, der körperlichen Untersuchung und der Sono nicht... Die richtige Diagnose: Nephrolithiasis (=Nierensteine. Verdammt schmerzhaft und können durch den ausstrahlenden Scherz durchaus auch ne ähnliche Symptomatik wie ein akutes Abdomen machen). Nun ja. der gute Mann wollte das natürlich nicht glauben. Aber er wollte ja mehr nicht, z.B. von einer Schwester oder einer Famulantin Blut abgenommen bekommen. Das musste schon der Facharzt sein (mich hat es ja gewundert, dass er nicht verlangt hat die Chefärztin aus dem Bett zu klingeln). Der Facharzt hat netterweise 3 Versuche gebraucht um ne Vene zu treffen. Wie auch immer: Urologisches Konsil (die haben unseren Verdacht bestätigt, der Patient wollte immer noch sein akutes Abdomen...) und ab mit der Nervensäge (samt Ehefrau) auf Station.
Inzwischen war einer der „das ist nie im Leben eine Appendizitis“-Chirurgen wieder da. Ich konnte mir die Neugier natürlich nicht verkneifen und fragte nach. „Und was war es denn dann, bei Frau xy?“. Ein höchst pikierter Blick vom Chirurgen und die sehr säuerliche Aussage „ne Appendizitis“. Am liebsten hätte ich nen kleinen „in your face“-Tanz à la Scrubs aufgeführt, aber hab es mir dann doch verkniffen. (ich meine wie lustig ist das denn? eine famulantin und ein Anästhesist diagnostizieren besser als ein Chirurg... das sagt doch alles, oder?)
Irgendwann wurde es dann doch etwas ruhiger. Es kamen noch ein paar relativ unspektakuläre Fälle rein (wie z.B. eine Exsikkose), aber sonst war Ruhe im Karton.
Um 6 Uhr früh gabs dann wieder was für mich zu tun. Blut abnehmen für diverse Laborkontrollen... Ich sags euch, so eine Ballung von schlechten Venen hab ich selten gesehen. Bei der einen musste ich so lang stauen bis Irgendwas zum Vorschein kam, dass ein Kalium von 10 (für die Amateure: wenn die wirklich n Kalium von 10 gehabt hätte, dann wäre die vermutlich im Keller und nicht in der Notaufnahme gelegen...)dabei rauskam (das Blut ließ sich netterweise auch nur tröpfchenweise abnehmen, das hat zum Resultat sicher auch noch beigetragen).
Nach der Aktion war der Frühdienst da und wir haben unsere Patienten an die übergeben. Um 8 Uhr früh war dann endlich Sense. Ich bin in Richtung Bus gelaufen und um 9 endlich total kaputt ins Bett gefallen. Aber geil war’s ;)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen