Samstag, 21. Februar 2009

3 Patienten – ein Symptom

Dienstag Mittag in der Notaufnahme. Drei Patientinnen kommen vorbei, das Symptom: Bauchschmerzen.

Patientin Nummer 1, 17 Jahre alt, Typus Vicky Pollard auf türkisch. Sie krümmt sich vor Schmerzen, während sie auf der Liege liegt. Bei der Anamnese finde ich heraus, dass sie seit nachts um 3 regelmäßig erbricht und Schmerzen im rechten Unterbauch hat. Bei der körperlichen Untersuchung ist sie nicht besonders kooperativ (Morbus bosporus ahoi), aber ich bekomme trotzdem, das heraus was ich rausbekommen will: positives Blumberg-Zeichen, McBurney und Lanz positiv (in nicht schlau bedeutet das: positive Zeichen, die auf das Vorhandensein einer Blinddarmentzündung hinweisen).
Frage auf eine mögliche Schwangerschaft wird von der Mutter vehement verneint (eine türkische Mutter von ihrer Tochter zu trennen, ist schwerer als nen Sack Flöhe hüten...). Aber nachdem man davon ausgeht, dass der Patient immer lügt, hab ich dann vorsichtshalber doch noch nen Schwangerschaftstest zu den Urinstix aufgeschrieben. Warum? Muss ja nicht der Blinddarm sein, könnte ja zum Beispiel auch eine ektope Schwangerschaft sein (= eine Schwangerschaft, die außerhalb vom Uterus stattfindet). An so was muss man natürlich auch denken. Der Test war dann übrigens negativ.
Wie auch immer. Zugang legen, Abdomen Labor anordnen, ab ins Ultraschall mit der jungen Dame. Ultraschall ist soweit zwar (noch) unauffällig, aber mein betreuender Arzt wünscht sich noch eine digitale rektale Untersuchung bei der Patientin. Ich versuche zwar ihn diskret darauf hinzuweisen, dass ich das noch nie gemacht habe, aber er meint nur: „Einmal ist immer das erste Mal“, erklärt mir kurz worauf ich achten soll und dann ab dafür. Tollerweise stehen die 4 Brüder der Patientin im Zimmer (allesamt mindestens 2 Köpfe größer und doppelt so breit wie ich...) denen ich erklären muss, dass sie mal „voll krass nach draußen verschwinden müssen“, weil ich noch ne Untersuchung bei ihrer Schwester machen muss. Bis die Herrschaften sich mal nach draußen bewegen braucht es natürlich einiges an Überzeugungskraft. Dass die Mutter danach immer noch im Zimmer war, muss ich doch nicht erwähen, oder? (ernsthaft: siamesische Zwillinge trennen ist ein Witz gegen die Frau...!). Die digitale rektale Untersuchung ist unauffällig, aber das Labor spricht klare Worte: Entzündungsparameter sind hoch. Ein chirurgisches Konsil wird angeordnet, der Herr kommt, schaut sich unsere Patientin an und bestätigt unseren Verdacht: Appendizitis (= Blinddarmentzündung). Die junger Frau wird noch am selben Tag operiert.

Patientin Nummer 2, 21 Jahre alt, ebenfalls türkischer Abstammung, aber bei weitem kultivierter (wenn ich das mal so sagen darf...). Liegt auf der Liege, ihr ist schlecht, sie hat Bauchkrämpfe und erbrochen. Nachdem sie morgens erbrochen hatte, ist sie umgekippt, hat sich den Kopf angeschlagen und laut der Mutter (ja, auch hier gibt es eine, allerdings ist die nur besorgt und nicht praktisch an die Tochter angenäht. Außerdem beteuert sie bei der Frage nach einer mögliche Schwangerschaft nicht, dass ihre Tochter noch Jungfrau sei...) gekrampft.
Gleiches Spiel. Anamnese (Bauchkrämpfe, Erbrechen, Durchfall, seit ca. 15 Stunden). Erstmal geht unser Verdacht auch in Richtung Appendizitis, dieser bestätigt sich aber nicht. Schwangerschaftstest ist negativ, das Labor sagt aber, das Mädchen ist krank. Außerdem sind das Umkippen und der Krampfanfall ein Grund zur Besorgnis. Meningismuszeichen sind negativ (as ist was gutes), der Neurologe, der zum Konsil hinzu gerufen wird findet bei der Untersuchung auch nichts auffälliges. Nachdem die wichtigsten Ursachen für ein akutes Abdomen ausgeschlossen sind und die Symptome passen wie die Faust aufs Auge, lautet die Diagnose: Norovirus.
Die junge Frau darf mit Buscopan und Vomex in der Tasche und der Empfehlung wiederzukommen, wenn sie noch einen Krampfanfall haben sollte, gehen.

Patientin Nummer 3, 54 Jahre alt, kommt ebenfalls mit Bauchschmerzen (aber ohne anhängliche oder weniger anhängliche Mutter). Sie hat die Schmerzen schon länger und die Befürchtung dass sie Krebs haben könnte. Erstmal beruhigen wir sie und erklären ihr, dass es viele Ursachen für Bauchschmerzen gibt. Dann Untersuchen wir sie. Nuchal fallen verhärtete, nicht druckverschiebliche Lymphknoten auf (für die die es nicht wissen (können): schlechtes Zeichen). Im Ultraschall ist nix konkretes als Ursache zu erkennen, aber toll ist das keineswegs. Weil uns die ganze Geschichte verdächtig vorkommt (und das Ultraschall keine Erleuchtung bringt) ordnen wir (neben dem Abdomen Labor) ein Ganzkörper-CT an. Die Laborwerte sind nicht so prickelnd, aber die Bilder sagen dann alles. Eine ganze Truppe Ärzte steht dann um den Bildschirm rum und ist erstmal fassungslos. Ihr könnt die Bilder zwar nicht sehen, aber ehrlich, das war nicht schön. Leber, Lymphknoten, wahrscheinlich auch das Pankreas (=Bauchspeicheldrüse) und Knochen: alles voll mit Tumoren. Echt heftig... Primarius ist vermutlich das Pankreas, aber das hilft der Frau auch nicht mehr viel, denn die einstimmige Meinung im Arztzimmer ist: da ist nicht mehr viel zu machen.
Sowas will der Patientin erstmal beigebracht werden. Krebs wird erstmal nicht wirklich in den Mund genommen, aber wir erklären ihr, dass wir in den Bildern einige Auffälligkeiten gesehen haben und dass wir sie deswegen zu den Onkologen verlegen werden, wo weitere Diagnostik gemacht werden muss um das ganze abzuklären. Auf die Frage hin ob es Krebs ist, lautet unsere Antwort: es ist sehr wahrscheinlich. Die Frau ist einigermaßen gefasst und erklärt uns, dass sie das schon befürchtet hat. Keine schöne Sache, wirklich nicht, aber wie es in der Notaufnahme leider ist: ein Patient ist abgeklärt und schon warten 5 neue, also muss man schnell weiter. Keine Zeit für großartige Tröstungsaktionen.

Da zeigt sich mal wieder: ein Symptom kann alles oder nichts bedeuten. Eine Diagnose kann wahnsinnig befriedigend sein, wenn dem Patienten geholfen werden kann, wenn aber nicht, dann nagt es doch an einem, besonders weil man mit ziemlicher Sicherheit sagen kann: wenn Patientin 3 früher zum Arzt gegangen wäre, dann hätte ihre Geschichte ganz anders enden können...

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